Rückblick
Biomasseproduktion mit Menschenrechten und lokaler Ernährungssicherheit in Einklang bringen: Praktische Ansätze
Das Fachpodium „Biomasseproduktion mit Menschenrechten und lokaler Ernährungssicherheit in Einklang bringen: Praktische Ansätze“ zeigte auf, dass globale Agrarlieferketten ein großer Treiber für soziale Nachhaltigkeit und die Wahrung von Menschenrechten in Anbauländern sein können – wenn grundlegende Rechte wie das Recht auf Nahrung eingehalten werden.
Gemeinschaftlich organisiert, brachten Welthungerhilfe und Meo Carbon Solutions diverse Expert*innen aus der Privatwirtschaft, der Wissenschaft, von Standardgebern und Wirtschaftsrecht, sowie Praktiker aus Produzentenländern zusammen. Sie alle verbindet ein besonderes Interesse am Menschenrecht auf Nahrung: Ein Querschnittsrecht, das die Verwirklichung von „SDG 2 – Kein Hunger“ eng mit „SDG 12 – Nachhaltiger Konsum und nachhaltige Produktion“ verknüpft. Wie der Global Hunger Index 2024 jedoch zeigt, stagniert die Weltgemeinschaft in ihrem Bestreben Ernährungssicherheit zu erreichen und scheitert damit auch an der Wahrung des Menschenrechts auf Nahrung innerhalb globaler Agrarlieferketten.
Dabei sei genau dies möglich, wie Dr. Rafaël Schneider, stellvertretender Leiter der Politikabteilung der Welthungerhilfe, und Dr. Jan Henke, Leiter von Meo Carbon Solutions in ihrer gemeinsamen Eröffnungsrede darlegten. Beide betonten die Wichtigkeit, welche das Menschenrecht auf Nahrung in der Agrarproduktion hat. Eine nachhaltige Bioökonomie sei nur möglich, wenn die Menschenrechte aller Stakeholder entlang der gesamten Agrarlieferkette eingehalten werden.
Theresa Heering, Projektleiterin des Food Security Standards, stellte in ihrer Keynote Rede die Wichtigkeit der Zusammenarbeit aller Akteure innerhalb der Wertschöpfungskette dar und betonte insbesondere die Rolle der Privatwirtschaft. Zudem sollte an einheitlichen politischen Rahmenbedingungen festgehalten werden, in denen das Recht auf Nahrung als Querschnittsrecht explizit Erwähnung findet, sowie bürokratische Hürden für Unternehmen abgebaut werden. Die nötigen praxisorientierten Lösungen zur Umsetzung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten in der Agrarproduktion gebe es bereits. Positivbeispiele, wie die abstrakte Regulierung praxisnah umgesetzt werden kann, können von Unternehmen als Orientierungspunkt genutzt werden. Ein prominentes Beispiel sei der Food Security Standard (FSS), ein praxiserprobtes Tool zur Überprüfung des Rechts auf Nahrung in der Agrarproduktion. Der FSS lässt sich als Add-On kosteneffizient gemeinsam mit jedem bestehenden Nachhaltigkeitsstandard abprüfen. Gefördert von der Fachagentur für Nachwachsende Rohstoffe (FNR) und dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL), existiert der FSS seit 2017 und wird derzeit als gemeinsames Projekt von Welthungerhilfe und Meo Carbon Solutions umgesetzt. Theresa Heering unterstrich in ihrer Rede, dass es nun wichtig sei, mit diesen Ansätzen in die breite Anwendung zu gehen.
Diese breite Anwendung ist keine Zukunftsmusik, wie Prof. Dr. Lena Partzsch in ihrer Präsentation darlegte. Denn Zertifizierungsstandards wie der FSS unterstützen Unternehmen nicht nur bei der Einhaltung ihrer Sorgfaltspflichten, sondern greifen auch das zunehmende Bewusstsein bestimmter Konsumentengruppen auf. Soziale und ökologische Nachhaltigkeit sei so nicht mehr nur eine „Frage von Priorität“, sondern im wirtschaftlichen Eigeninteresse der Unternehmen. Eine Zertifizierung kann hier den nötigen Beweis für die Einhaltung menschenrechtlicher Standards in Produktion und im Handel erbringen – wofür einige Verbraucher*innen sogar bereit wären mehr zu zahlen.
Um in einer globalisierten Welt einen fairen, menschenrechtskonformen Handel zu ermöglichen und gleichzeitig als Unternehmen konkurrenzfähig bleiben zu können, braucht es jedoch entsprechende Rahmenbedingungen. Due Diligence Regulierungen wie das deutsche LkSG und europäische CSDDD oder EUDR konkretisieren diesen Rahmen derzeit. Max Jürgens, Senior Associate der Cattwyk Rechtsanwaltsgesellschaft, hat unter anderem den FSS aus juristischer Sichtweise mit den aktuellen deutschen und europäischen Gesetzgebungen abgeglichen. Er ist überzeugt, dass Zertifizierungsstandards für Unternehmen ein sinnvolles und hilfreiches Tool in ihrer Due Diligence Strategie sein können.
Damit rückt die Umsetzung des Rechts auf Nahrung nicht nur, aber insbesondere für Unternehmen mit Bezug zum Agrarsektor, in den Vordergrund – auch für Eni SpA. Eni SpA stellt biobasierten Flugzeugtreibstoff unter anderem aus landwirtschaftlichen Restprodukten her und arbeitet hierfür mit Rohstoffproduzenten zusammen. Um ihr Due Diligence System an die neuen europäischen Richtlinien anzupassen, nutzt Eni SpA unter anderem den FSS und ist aktuell bereits FOSSEM Advanced zertifiziert. Benedetta Camilli, Head of Agri Feedstock Initiatives and Programs at Eni SpA, begrüßte in ihrem Beitrag diese pro-menschenrechtliche Entwicklung. Gleichzeitig bedürfe es aber praktischer, möglichst unbürokratischer Lösungen, die bestenfalls in bestehende, unternehmenseigene Due Diligence Systeme integriert werden können.
Wie eine solche möglichst unbürokratische Lösung aussehen kann, zeigt auch 4C. Bei 4C handelt es sich um einen unabhängigen, von Interessengruppen getragenen, international anerkannter Nachhaltigkeitsstandard für Kaffee und Kakao. In ihrem Vortrag zeigte Pia Lorenz, Senior Sustainability Manager, wie 4C den FSS als Add-Ons integriert und dadurch die Säule der sozialen Nachhaltigkeit in ihrem eigenen Due Diligence Framework stärken kann. Dabei betont sie, dass sich Unternehmen keinesfalls durch Zertifizierungen von ihrer Verantwortung freikaufen können. Zertifizierungsstandards sind lediglich ein Tool, um bestehende Risiken innerhalb der eigenen Lieferkette aufzudecken und Schritt für Schritt unter Kontrolle zu bringen.
Was neue Regularien wie CSDDD und LkSG in der Praxis für die Produzierenden diverser Agrarprodukte bedeutet, zeigte ein Bericht aus der Praxis von Michael Kitetu. Als Auditor beschäftigt ihn vor allem die Frage, wie man die Produzierenden bei der Einhaltung der neuen Regularien unterstützen kann. Er sieht hier eine große Verantwortung beim Design von Zertifizierungsstandards, aber auch bei der Ausbildung der Auditor*innen. Rein soziale Audits – wie für den FSS – sind im Gegensatz zu technischen Audits noch wenig etabliert. Gleichzeitig ermöglichen nur soziale Audits die nötigen holistischen Einblicke in die Lebensbedingungen von Kleinbäuer*innen, Arbeiter*innen und die umliegenden Gemeinden. Vor allem letzteres und damit der Austausch mit externen Stakeholdern macht den FSS aus seiner Sicht einzigartig.
In der anschließenden Diskussionsrunde stellten sich die Panelisten vor allem der Frage, wie eine effektive Umsetzung von CSDDD und EUDR in der Praxis aussehen könnte. Von Sanktionen bei einer Nicht-Einhaltung bis hin zu einer weltweit harmonisierten Due Diligence Strategie wurde viel diskutiert. Breite Zustimmung ernteten die Einschätzung der Panelisten, wie wichtig es für die Produzierenden ist, ihre lokalen Standards auf das erforderliche Niveau heben zu können, um ihren Marktzugang nicht zu verlieren.
Ein Zertifizierungsstandard wie der FSS hat das Potential für alle Stakeholder die neuen europäischen Regularien umsetzbar zu machen. Swantje Nilsson, Leiterin Abteilung EU-Angelegenheiten, Gemeinsame Agrarpolitik, Internationale Zusammenarbeit, Welternährung des BMEL, schloss die Veranstaltung in ihrer Abschlussrede mit folgendem Appel: „Es ist an der Zeit, dass Unternehmen erkennen, dass der Umgang mit Menschenrechtsrisiken, insbesondere mit dem Recht auf Nahrung, nicht nur ethische Verantwortung erfüllt, sondern auch wirtschaftliche Risiken mindert. Lasst uns die Menschenrechte zum Mainstream in den Lieferketten machen.“
Podiumsteilnehmerinnen & Podiumsteilnehmer
Keynote-Speakerinnen & Keynote-Speaker

Theresa Heering
Project Lead Food Security Standard
Welthungerhilfe WHH

Jan Henke
Director
Meo Carbon Solutions

Rafaël Schneider
Deputy Head Policy and External Relations
Welthungerhilfe

Swantje Nilsson
Head of the Directorate-General for EU-Affairs, CAP, International Cooperation and Global Food Security
Federal Ministry of Food and Agriculture (BMEL)
Moderatorinnen, Moderatoren, Podiumsteilnehmerinnen & Podiumsteilnehmer

Lisa Marie Pyka
Project Manager Human Rights
Meo Carbon Solutions

Pia Lorenz
Sustainability Manager
4C

Max Jürgens
Senior Associate
Cattwyk Rechtsanwaltsgesellschaft mbH & Co. KG

Michael Kitetu
Voluntary Sustainability Standards (VSS) Expert & Lead Auditor

Lena Partzsch
Freie Universität Berlin

Benedetta Camilli
Head of Agri Feedstock Initiatives and Programs
Eni SpA